Von der Anfrage zum Gesetz

Einmischen lohnt sich
oder wie alles begann...
Die MEDIZIN TRANSPARENT- Anfrage
vom 26.6.2000:

Viele Politiker reden vom Sparen im Gesundheitssystem, viele Politiker fordern mehr Marktwirtschaft, Innovation und Transparenz.
Einsparungen statt sinnvoller Reformen auf dem Rücken der Patienten scheinen dabei beliebt und einfach zu sein. Doch auf einem Gebiet wird gesetzlich krankenversicherten Patienten seit Jahrzehnten Transparenz im Gesundheitssystem verweigert bzw. erschwert.
Warum erhalten Patienten im Bereich der Gesetzlichen Krankenkassen keine Abrechnungen von ihren behandelnden Ärzten und Kliniken wie Privatpatienten es gewohnt sind und in allen anderen wirtschaftlichen Unternehmungen selbstverständlich sind ?
Transparenz im Abrechnungssystem der Gesetzlichen Krankenkassen fördert
* Einsicht in den Aufwand der erbrachten medizinischen Leistungen
* die Vergleichbarkeit der ärztlichen Leistungen und medizinischen Behandlungen
* und verdeutlicht den Patienten, was für die Diagnostik und Behandlung ihrer Erkrankungen von den Gesetzlichen Krankenkassen ausgegeben wurde
Dies würde mit großer Wahrscheinlichkeit zu erheblichen Kosteneinsparungen führen. Gesundheitreformen gingen bisher am Offensichtlichen vorbei.



Wir fragen: Warum?
Die Anfrage ging per E-Mail an folgende Poltiker(-innen) des Deutschen Bundestags
* Andrea Fischer, Bundesgesundheitsministerin, Bündnis90/ Die Grünen, Beruflicher Werdegang: Druckerin, Volkswirtin
* Klaus Kirschner, Vorsitzender des Ausschuß für Gesundheit des Deutschen Bundestags, SPD, Beruflicher Werdegang: Werkzeugmacher, Mechanikermeister
* Wolfgang Zöller, stellvertretender Vorsitzender des Ausschuß für Gesundheit des Deutschen Bundestags, CSU , Beruflicher Werdegang: Diplomingenieur (FH), Sicherheitsingenieur
* Sabine Leutheuser-Schnarrenberger, stellvertr.Mitglied des Gesundheitsausschusses, FDP , Beruflicher Werdegang: Juristin
* Annette Widmann-Mauz, Mitglied des Gesundheitsausschusses, CDU, Beruflicher Werdegang: Assistentin, Studium der Politik- und Rechtswissenschaften
* Dr. Ruth Fuchs, Mitglied des Gesundheitsausschusses, PDS, Beruflicher Werdegang: Diplomsportlehrerin
* Dr. Hansjörg Schäfer, Mitglied des Gesundheitsausschusses, SPD, Beruflicher Werdegang: Frauenarzt
* Dr. Dieter Thomae, Mitglied des Gesundheitsausschusses , FDP, Beruflicher Werdegang: Diplomkaufmann, Oberstudiendirektor a.D.
* Monika Knoche, Mitglied des Gesundheitsausschusses, Bündnis90/ Die Grünen, Beruflicher Werdegang: Verwaltungsangestellte



Die Antwort

Nach der medizin-transparent -Anfrage vom 26.6.2000:
‚Kassenärzte’ sollen künftig Quittungen ausstellen!
Wie waren die Reaktionen ?

Zuerst antwortete der FDP-Abgeordnete Dr. Dieter Thomae (MdB) am 13.07.2000 per Fax.
Doch lesen Sie selbst:
“Dass die Patienten in der Gesetzlichen Krankenversicherung keine Abrechnungen erhalten, liegt daran, dass in Deutschland das Sachleistungsprinzip gilt. Dies bedeutet, dass der Versicherte alle Leistungen als Naturalleistungen erhält und von einer Zahlungsverpflichtung gegenüber dem Arzt befreit ist. Für die Inanspruchnahme der Leistungen wird ihm von der Krankenkasse eine Krankenversicherungschipkarte ausgestellt, die dem Arzt im Behandlungsfall präsentiert wird. Der Arzt rechnet die von ihm erbrachten Leistungen dann mit der Krankenkasse ab.
Das Gegenstück zum Sachleistungsprinzip ist das Kostenerstattungsprinzip, das für die privat versicherten Patienten gilt. Der Patient bezahlt die Kosten für seine in Anspruch genommenen Leistungen und erhält nach Einreichung der Rechnungen die Kosten von der Krankenkasse erstattet.
Um die Eigenverantwortung der Patienten zu stärken, setzt sich die F.D.P. Bundestagsfraktion dafür ein, wo es sozial verträglich ist, das anonyme Sachleistungssystem durch Kostenerstattung zu ersetzen. Um im System mehr Transparenz zu erzielen, ist es notwendig, dass Patient und Arzt wissen, wie teuer eine Behandlung ist und zwar im Vornherein.”
Nach dem FDP-Abgeordneten meldete sich die Pressestelle der Bundesministerin für Gesundheit bei der REDAKTION von medizin transparent. In drei Telefonaten bat Frau Fischers Pressereferentin um weitere Informationen zur. medizin-transparent-Anfrage vom 26.6.2000.

Am Freitag, den 29.9.00, drei Monate nach der Anfrage war es dann soweit:

Gesundheitsministerin Andrea Fischer kündigt an:
Ärztehonorar nur gegen Quittung.
Ab Montag, den 2.10.00 gehen nach einem Artikel in der Ärztezeitung viele Anrufe von erfreuten wie vorwurfsvollen Ärzten in der Redaktion von MEDIZIN TRANSPARENT ein, die die Gesetzesinitiative von Frau Fischer im Zusammenhang mit der Internet-Anfrage vom 26.6.00 sehen.
aus: Ärzte Zeitung Nr. 175, Jahrgang 19, 2.10.2000, Seite 1
Honorar nur gegen Quittung - spielt da die Ärzteschaft mit?
Berlin (rv/br). Ohne Unterschrift des Patienten kein Honorar - Vertragsärzte sollen künftig nur noch quittierte Leistungen abrechnen dürfen. Entsprechende Gesetzespläne hat Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer am Freitag in Berlin bestätigt. Es habe bereits Gespräche mit der Standesvertretung der Vertragsärzte gegeben, mit prinzipiellem Widerstand rechne das Ministerium nicht, sagte Fischers Pressesprecherin Sabine Lauxen der “Ärzte Zeitung”.
Die Neuregelung soll noch in dieser Wahlperiode, also bis spätestens 2002, mit dem geplanten Gesetz zur Verbesserung der Datentransparenz in Kraft treten. Es werde aber Übergangsfristen geben, erklärte Lauxen. Vorgesehen ist, daß GKV-Versicherte nach der Behandlung ein Protokoll abzeichnen, das in “normaler Sprache” alle erbrachten Leistungen auflistet. Die Protokolle müssen Ärzte zusammen mit der Quartalsabrechnung einreichen, die Kassenärztlichen Vereinigungen dürfen nur quittierte Leistungen honorieren.
Fischer verspricht sich von dieser Regelung mehr Transparenz und eine Stärkung des Kostenbewußtseins der Versicherten. “Ein willkommener Nebeneffekt ist, daß Abrechnungsbetrug erschwert wird”, sagte sie. Da die Protokolle keine Angaben über die Kosten enthalten können, gibt es noch eine andere Variante. Danach hätten die Kassen jedem versicherten Quartalsaufstellungen mit den Kosten zuzusenden.

Bravo Frau Fischer,
in den letzten Jahrzehnten hat sich kein Gesundheitsminister an dieses Thema herangewagt.
Ob es nun, wie Internetleser behauptet haben, einen Zusammenhang zwischen der MEDIZIN TRANSPARENT – Anfrage gibt oder es sich bei der ‚Fischer Initiative’ um eine Gleichzeitigkeit von Ereignissen handelt, ist der REDAKTION von MEDIZIN TRANSPARENT nebensächlich.
Wichtig ist allein, dass künftig auch gesetzlich Versicherte, ärztliche Kosten und Leistungen ‚transparent’ nachvollziehen können.

Sind SPD, CDU/CSU und PDS schon Internet - fähig?
Dass SPD, CDU/CSU, und PDS-Bundestagsabgeordnete des Gesundheitsausschusses keine Stellungnahme zur MEDIZIN TRANSPARENT – Anfrage gaben, stimmt uns nachdenklich.
Sollten sie ihre E-Mails nicht öffnen können, dann schlagen wir dringend Internet-Schulungen für Mitglieder des Deutsches Bundestags vor. Fehlermeldungen hatten wir jedenfalls bei der Übermittlung der E-Mails nicht erhalten. Dass die Volksvertreter vorgenannter Parteien kein Interesse an öffentlicher Meinungsbildung im Bereich der Gesundheitspolitik haben, möchten wir bei Bundestagsabgeordneten des Bundesgesundheitsausschusses nicht vermuten. Wo es Kommunikationsschwierigkeiten bei den Vertretern dieser Fraktionen gab, wissen wir noch nicht.
Die REDAKTION MEDIZIN TRANSPARENT wird ‚dran bleiben’ und berichten.



REDAKTION MEDIZIN TRANSPARENT informiert: 6.7.01
Anmerkung zur Anfrage vom Juni 2000:

Kassenärzte müssen Rechnungen schreiben –
Rheinland-Pfalz geht voran
Na endlich! Nach persönlicher Auskunft von Frau
Dr. Eleonore Lossen-Geißler, Ministerium für Arbeit, Soziales und Gesundheit in Rheinland-Pfalz, läuft in diesem Bundesland der erste Modellversuch zum Thema unserer Anfrage. Kassenärzte müssen dem Patienten Rechnungen schreiben .
Die REDAKTION MEDIZIN TRANSPARENT ist nun verhalten optimistisch, daß sich auch andere Bundesländer dieser Entscheidung mutig anschließen werden.
Wenn auch noch Kostentransparenz für die Verwaltungs- und Werbekosten der gesetzlichen Krankenkassen zu erreichen wäre, würden sich künftige Gesundheitsreformen vielleicht sinnvoller, medizin- und patientengerechter gestalten lassen.
Denn wie heißt es so schön: Nur der aufgeklärte Patient ist auch ein mündiger Patient.



Wie ging es weiter mit der MEDIZIN TRANSPARENT- Initiative vom vom 26.6.2000?
Seit dem 1. Januar 2004 ist es nach vielen Protesten verschiedener Medizinerverbände nun endlich Gesetz:
Kassenpatienten ist auf Verlangen vom Arzt oder Zahnarzt eine Tagesquittung oder Quartalsabrechnung auszustellen.
Ein Wermutstropfen: Kassenpatienten müssen für die Quittung 1 Euro entrichten und vorher Ihren Arzt dazu auffordern. Ein wenig Kniefall der Politik, denn wer mag schon, bei aller berechtigten Kostentransparenz, seinen Hausarzt ein wenig mißtrauisch darum bitten wollen, ihm seine Abrechnung vorzulegen. Den Verzagten sei dazu angemerkt, dass ihr behandelnder Arzt für Privatpatienten ganz selbstverständlich Rechnungen schreibt. Wer über Zweiklassenmedizin nicht nur stimmungsvoll polemisieren möchte, sollte künftig von seinem Recht als Kassenpatient Gebrauch machen auch wenn die Ungleichheit schon in der Quittungshonorierung vom Gesetzgeber festgeschrieben wurde.
Rechtsgrundlage für die Patientenquittung ist
§ 305 Abs. 2 SGB V
.
Bestätigt wurde dieses Gesetz durch das Bundessozialgerichtsurteil
vom 7.12. 2004 (AZ: B1 KR 38/02 R)