Für Sie gelesen

Mythos Kostenexplosion in der GKV

Der Glaube versetzt Berge – oder besser: Milliarden

Viele Mythen ranken sich heutzutage um die Gesundheitspolitik – und sie werden nach wie vor geglaubt, sind sie doch immer wieder in den Medien aktuell. Doch was davon wirklich mit den Fakten übereinstimmt – das weiß niemand so genau…
Doch jetzt kommt Licht ins Dunkel. Zwei Wissenschaftler der Universität Bremen haben die Antworten von mehr als 1500 GKV-Versicherten ausgewertet und mit der Realität verglichen - und sind zu erstaunlichen Zusammenhängen gekommen, berichtet die Zeitung „Medical Tribune“(1). Demnach glaubten rund 58% der Befragten, dass die Kosten im Gesundheitswesen deutlich stärker anstiegen, als in anderen Wirtschaftsbereichen und dies auch zur Gefährdung von Arbeitsplätzen führen würde. Die Fakten sprechen aber eine andere Sprache: „In den exportorientierten Wirtschaftszweigen betragen die Arbeitgeberbeiträge zur GKV knapp 5% der gesamten Arbeitskosten bzw. weniger als 1% der Gesamtkosten eines Produkts.“ (2) Und auch der Mythos der Kostenexplosion stehe in keinem Verhältnis zu den realen Zahlen, schreibt das Blatt weiter. Den Forschern zufolge sei ebenso der Mythos des zunehmenden Ärztemangels faktisch nicht nachweisbar: „Seit 1991 ist die Zahl der berufstätigen Ärzte bei einer etwa gleich groß gebliebenen Bevölkerung um rund 30% gestiegen.“ (3)
Besonders mythengläubig seien übrigens Beschäftigte im Gesundheitswesen und Anhänger der FDP. (4) Ursache für letzteres Phänomen sehen die Forscher darin, „dass die aus diesen Mythen ‚ableitbaren politischen Maximen ihre ideologische Heimat noch am ehesten in der parteipolitischen Programmatik und Rhetorik der FDP haben’.“ (5)
Das Interesse an den irreführenden Mythen liegt also nicht zuletzt in der Politik begründet.
Artikel:Jana Walter
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1 45. Jg., Nr. 31/32, August 2010
2 „Medical Tribune“. S. 17
3 „Medical Tribune“. ebd.
4 „Medical Tribune“. S. 1
5 „Medical Tribune“. S. 17

Deutsche Arzneimittel zu teuer

und was die die 'Umkehr der Beweislast' für die Arzneimittelsicherheit bedeutet

Deutsche Medikamente sind weiterhin extrem teuer – vor allem im Vergleich mit anderen europäischen Staaten. Dies belegt ein exemplarischer Vergleich, der im neuen Arznei-Verordnungsreport (AVR) 2010 enthalten ist, schreibt das „arznei-telegramm“ (1).
Verglichen wurden die 50 umsatzstärksten (patentgeschützten) Medikamente in Deutschland mit entsprechenden Mitteln in Schweden (2): „Diese Präparate sind hierzulande im Durchschnitt 48% teurer.“ (3) Ursache dafür sei unter vor allem, dass die Hersteller in Deutschland die Preise für diese Medikamente frei festlegen könnten. Laut Berechnungen könnten im günstigsten Fall Kosten in Höhe von mehr al 9 Milliarden Euro eingespart werden: „Das entspricht einem Drittel der Ausgaben der GKV [Gesetzliche Krankenversicherung] für Fertigarzneimttel…“ (4), zitiert das „arznei-telegramm“ weiter aus dem AVR.
Das hat nun auch die Politik realisiert und plant einen umfassenden Maßnahmenkatalog – das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarkt in der GKV (AMNOG). Hiervon erhofft sich die schwarz-gelbe Regierung „finanzwirksame Entlastungen der gesetzlichen Krankenkassen und eine Begrenzung des Kostenanstieg in der Arzneimittelversorgung“ (5) – auch hier waren die Kosten 2009 wieder angestiegen: auf 32,4 Milliarden Euro.
Hauptkritikpunkt des Reformpakets sind zu hohen Kosten und fehlende Zusatznutzen neuer Medikamente. So sollen Hersteller künftig verpflichtet werden, „Daten vorzulegen, die einen möglichen Zusatznutzen der Neuerung belegen, also ob diese beispielsweise besser oder schneller wirkt als vorhandene Medikamente oder verträglicher ist.“ (6) Wird dieser Zusatznutzen vom Gemeinsamen Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (G-BA) anerkannt, sollen Hersteller und der Bund der Krankenkassen einen Rabatt auf den Abgabepreis aushandeln. Sollte ein Zusatznutzen nicht belegt sein, so erhält das Medikament einen Festbetrag, der „die GKV nicht mehr kosten darf als eine Vergleichstherapie mit gleichem Nutzen“ (7).
Wer jetzt glaubt, die Pharmaindustrie lässt sich so einfach in die Suppe spucken, der irrt. Natürlich haben sich deren Vertreter – Verband der forschenden Arzneimittelhersteller (VFA) - flugs zusammengesetzt und einen eigenen Vorschlag entworfen. Der enthält unter anderem, dass nicht der G-BA über die Nutzenbewertung neuer Arzneien entscheiden soll, sondern dass dies vom Gesundheitsministerium per Rechtsverordnung festgelegt wird, heißt es. Dieser Vorstoß sei bereits in einen der Änderungsanträge von CDU/CSU und FDP übernommen worden. Zusätzlich wollen die Pharmavertreter die geplante Nutzenbewertung weitgehend umgehen. Zum einen sollen Medikamente zur Behandlung seltener Krankheiten (Orphan Drugs) davon ausgenommen werden. Diese würden dann – wie bereits schon bei einigen Krebspräparaten üblich – ohne Nutzenprüfung zugelassen und nach und nach auf immer mehr Erkrankungen ausgedehnt. Ebenfalls sehr kritisch würde die geplante „die Umkehr der Beweislast“(8) gesehen, die ebenfalls in den Händen des Verband der forschenden Arzneimittelhersteller (VFA) liegen würde. War es bisher so, dass der Hersteller den Nutzen seines Medikaments nachweisen musste, soll nun die Verordnung an den sicheren Nachweis der „Unzweckmäßigkeit“ gebunden sein. Für die Zulassung reicht es jedoch schon aus, die Wirksamkeit im Vergleich mit Placebos nachgewiesen ist. Damit sei noch nicht der therapeutische Nutzen gesichert. „Ein Ausschluss aus der Verordnungsfähigkeit wegen Unzweckmäßigkeit dürfte dann nicht mehr möglich sein.
Artikel: Jana Walter
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1 „arznei-telegramm“. 10/10. 41. Jahrgang. 08.10.2010. S. 101-102
2 wobei die Medikamente in einigen EU-Staaten noch billiger sind
3 S. 101
4 S. 102
5 S. 101
6 ebd.
7 S. 102
8 ebd.