Sex - Lust oder Frust
Kennen Sie die erotischen Vorlieben,
Phantasien, Traditionen, Befürchtungen, Ängste, Schamgefühle Ihrer zweiten Hälfte? Dr. Placebo rät: lernen Sie, miteinander zu sprechen. Professionelle Hilfe kann nachhaltig weiterhelfen.
... nun die rezeptierte Enthemmung der Lust in unlustvollen Beziehungs- und Lebenssituationen. Steht's Adam dann mit Viagra stramm, könnte Flibanserin Eva hemmungslos stöhnen lassen. Wie beliebig Lust doch werden kann und wie austauschbar dazu. Die Zielgruppe ist auch schon definiert: Überforderte Frauen zwischen 30 und 40 Jahren, gestresst von Kindern, Job und Beziehung, die ihre geschäftigen Gedanken nicht mehr abschalten können. "Die Frau fühlt nichts mehr. Die schönen Gefühle, die mit Sex verbunden sind, entstehen bei ihr gar nicht. Flibanserin dreht offensichtlich am Hemmungssystem der Frau", offenbart der Psychologe Prof. Hartmann in besagter fit for fun Ausgabe 11/09 auf Seite 123. Dass pharmakologische Manipulationen am weiblichen Serotoninstoffwechsel nun endlich spürbar zur lustvollen 'seelischen Gesundheit' beitragen sollen, erstaunt den aufmerksamen Leser nicht wirklich. Schon vor Jahren erhofften Sexualmediziner durch nasale Verabreichung des Vertrauen schaffenden Hormons Oxytocin, festgefahrene Beziehungen anzukurbeln. Wurden Östrogen-, Testosteron, Dopamin- und Prolaktinwerte bemüht, um sexuelle Zufriedenheit zu ergründen oder medikamentös behandeln zu können.
Vorbei die Zeit wo Lust im Kopf begann, kontext- und situtationsabhängig war und irgendwie Vorlieben und Aversionen etwas mit dem Gegenüber und der eigenen psychosexuellen Sozialisation, Erwartung und bevorzugtem Selbstwertkonstrukt zu tun hatte. Vorbei die Zeit gesellschaftspolitisch darüber nachzudenken, was nach Dekaden kirchlicher Reglementierung, sexueller Sprachlosigkeit, polarisierender Frauenbewegung, infektionsbedrohtem Sexualverhalten, narzistisch geschürten Konsumbestrebungen und grob sexualisierten Medienkonsum noch an selbstbestimmter Sinnlichkeit und sexuellem Genuß vorhanden ist. Anstatt die Sprache zwischen den Geschlechter von der Schule an zu trainieren, beharren manche bunten Beziehungsratgeber umsatzsteigernd auf geschlechtsspezifischen Unterschieden, die die Verunsicherung zwischen Mann & Frau unnötig fördern und plumpe Klischees märchenhaft verbreiten. Da passt es gut, dass für jene, die nicht weiter darüber nachdenken wollen, die glauben, sowieso nichts in diesem Leben verändern zu können, die lieber Symptome zu unterdrücken als zu hinterfragen suchen, die sexuelle Hingabe künftig aus der Pillenpackung kommt. Dass die weibliche Lustpille anders als bei Viagra längere Zeit eingenommen werden muss, um Wirkung zu zeigen, wird kein Nachteil sein. Daran sind Frauen von Seiten der synthetischen Sexualhormone von der Verhütung bis zum Klimakterium seit Jahrzehnten gewöhnt.
Wer Sex auf Ausleben quälender Lustimpulse reduziert, wer Sex allein mit Fragebögen und Larborparameter erforschen möchte, fasst im Paarungsspiel der Geschlechter zu kurz. Sex im ´Du & Ich´ sucht sich und seine Bestätigung. Oder wie Prof. Ulrich Clement, Heidelberg es ausdrückt: " Beim Sex werden immer auch andere - nicht sexuelle - Motive und Bedeutungen aktiviert und gelebt: die Bestätigung der eigenen Attraktivität, die Wohltat für das Selbstwertgefühl, Trost in einer bedrückenden Lebenslage oder die Selbstvergewisserung der eigenen Körperlichkeit." (*)
Inspirationsloser Beziehungsalltag, sinnentleerte Rituale, fehlende erotische Spannungsbögen im fortschreitenden Beziehungsalter sollten Anlass zum Nachdenken, Reden, sich-einander-zeigen sein. Doch jeder, wie er mag.
(*) Ulrich Clement: Wenn Liebe fremdgeht, S.54 Marion von Schröder Verlag, Berlin